D-LEsta, 21081 Breitkopf & Härtel, Leipzig, Nr. 2802, Bl. 3/4/5
- Titel
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- 1906-02-01 Carl Reinecke an Breitkopf & Härtel
- Signatur
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- D-LEsta, 21081 Breitkopf & Härtel, Leipzig, Nr. 2802, Bl. 3/4/5
- Ort des Bestandes
- Bestand
- Absender
- Empfänger
- Sprache
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- Deutsch
- Inhalt
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- Carl Reinecke kritisiert den Druck der von ihm eingerichteten Mozart-Sonaten
- Transkript
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- 1. Februar 1906
Sehr geehrte Herren!
Indem ich Ihnen die Mozart’sche Sonate, mit Fingersatz versehen, hiemit zurück sende, erlaube ich mir eine Anfrage betreffs des Bizet-Albums. Wünschen Sie, daß nur einzelne Sätze z. B. aus den verschiedenen Suiten gebracht werden, oder ziehen Sie es vor, solche Werke vollständig aufzunehmen.
Sie waren so gütig, mir zwei Bände Mozart’sche Sonaten zu übersenden, und begrüßte ich den schmucken Band V. A. No. 217 mit ganz besonderer Freude, weil ich vermuthete einen neuen schönen Druck
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meiner Ausgabe in Händen zu halten. Die vorhandene Ausgabe ist nämlich so klein und zum Theil so eng gestochen, daß ich sehr häufig von Lehrern, Institutsinhabern u. A. darüber habe klagen hören, daß sie des Stiches halber die Ausgabe nicht verwenden könnten. Leider aber ward mir nach kurzem Einblicke klar, daß der Herausgeber zwar meinen Fingersatz abgeschrieben habe (soweit ich es nach Vergleichung der verschiedensten Stellen erkennen konnte), daß er aber Das, was meine Ausgabe werthvoll machte ungenützt gelassen hat.
Ich hatte seiner Zeit einen großen Fleiß
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verwendet auf die Uebertragung der durch Zeichen ausgedeuteten Verzierungen und der mit kleinen Noten geschriebenen Vorschläge (meist aber Vorhalte) in die heutige Notenschrift, da alles Dies für die Meisten, selbst für Lehrer und Dirigenten, ein Räthsel ist und häufig mißverstanden wird. Sei es nun, daß mir eine Tradition von meinem Vater und Lehrer (mittelbar durch Clasing und Hummel) überkommen, oder daß ein über 50 Jahre langes Studium Mozarts mich genügend über Jenes unterrichtet hat, oder endlich, daß ich eine besondere Ader für Mozart besitze – jedenfalls darf ich behaupten, daß ich für meine richtige Auffassung zahlreiche Beweise aus Mozart’s Werken selbst
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beibringen kann und daß ich bei unklaren Stellen mich wohl auf mein richtiges Empfinden verlassen darf und auch den Muth habe für meine Auffassung einzustehen. Da muß es mich nun schmerzen, daß meine Ausgabe in der alten Erscheinung fortbesteht während die andere (\die,/ da eine Urtext-Ausgabe besteht <x> meiner Ansicht \nach/ gänzlich werthlos ist) sich prächtiger Ausstattung erfreut. Ich halte sie aber nicht allein für werthlos, sondern geradezu für gefährlich, weil sie die unleugbar einbrechende Gleichgültigkeit gegenüber Mozart nur fördern hilft. Wer diese Ausgabe
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benutzt, ohne die nöthigen Kenntnisse zu besitzen, wird zuweilen geradezu Zerrbilder Mozart’scher Kunst zu Tage fördern und man darf Hörern und Spielern nicht einmal zürnen, wenn sie Mozart für veraltet erklären; ich fand auf einer Seite 14 Stellen, wo die Urschrift dem Spieler von heute zu falschem Vortrage verleiten kann. Ich halte es nicht für pietätvoll, wenn man Autographen oder alte Ausgaben sylbenstecherisch abschreibt, sondern wenn man dem Spieler zu Hülfe
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kommt und ihm zeigt wie Mozart selbst seine Werke gespielt hat.
Verzeihen Sie diese lange Expectoration, aber „wes das Herz voll ist“ u.s.w.
In größter Hochachtung
Ihr ergebener
Carl Reinecke
- 1. Februar 1906
- Umfang
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- 3 Blätter, 6 Seiten
- Bemerkung
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- Handschrift
- Datum
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- 01.02.1906
- Personenreferenz
- Schlagworte
- Bearbeiter
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- mayer
- Bearbeitungsstatus
-
- fertig
- Statische URL
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