Carl Reinecke äußert seine Meinung zu einer Sonate von Hans Huber
Transkript
Leipzig, 6. September 1904 Sehr geehrte Herren!
Die Huber’sche Sonate ist für eminente Spieler, die zugleich vortreffliche Musiker
sein müssen, gewiß ein interessantes Werk, namentlich infolge der sehr complicirten
Contrapunktik, die der Componist aufgewendet hat. Dilettanten dürfen sich an das Werk
nicht wagen da es ebensowohl nach technischer wie rhythmischer Seite hin außerordentlich
schwer ist. Die Erfindung ist sehr spröde / und von dem, was man im gewöhnlichen Leben Melodie zu nennen pflegt, ist gar wenig
vorhanden. Jedenfalls würde es nöthig sein, das Werk in Partitur zu stechen, da man
es sonst garnicht einstudiren könnte. Meinen Anforderungen, die ich an ein Kunstwerk
stelle genügt diese Sonate allerdings nicht, aber heutzutage empfindet man ja ganz
anders. Es war mir übrigens sehr lieb, / [23] daß ich diese Ihre Sendung gerade heute noch empfing, da ich Morgen auf einige Wochen
verreise und benutze ich die Gelegenheit Ihnen meine Adresse mitzutheilen, für den
Fall, daß Sie <x> Dringendes für mich zu erledigen hätten; dieselbe ist Hôtel Elisabethenruhe
in Eisenach. Es ist wohl überflüssig, Sie zu bitten, daß meine Urtheile nicht in die Hände Anderer
gerathen. Huber / ist ein alter lieber Schüler von mir und wenn ich mich auch Ihnen gegenüber verpflichtet
fühle, meine ganz aufrichtige Meinung auszusprechen, so möchte ich doch begreiflicherweise
nicht, daß er auf Umwegen etwa, Kenntniß von meinem Urtheil erhielte.
In vollkommener Hochachtung Ihr ergebener Carl Reinecke
